Unser Planet befindet sich in einer menschengemachten Klimakrise. Aufgrund der Verbrennung fossiler Energien, massenhafter Tierhaltung und Abholzung riesiger Waldgebiete haben wir laut Daten des EU-Klimadienstes Copernicus bereits eine
Erderwärmung, die erstmals durchschnittlich zwölf Monate lang 1,5 Grad über dem Referenzzeitraum lag
Die Mehrheit aller Staaten (ebenso Deutschland) hat 2015 das Pariser Abkommen unterzeichnet, doch zwischen der Absichtserklärung und der Umsetzung herrscht eine große Diskrepanz. Klimaschutz passiert überwiegend zu wenig und zu langsam.
Europa plant, 2050 klimaneutral zu sein, obwohl das weltweite CO2-Budget zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze bereits in wenigen Jahren aufgebraucht sein wird
Darüber hinaus werden diese bereits schwach gesteckten Ziele oftmals sogar noch verfehlt, wie beispielsweise 2022 sowohl der Verkehrs- als auch der Gebäudesektor.
Die Voraussagen des IPCC treten überwiegend früher ein als gedacht. 2023 war ein Jahr, das regelmäßig Rekorde brach, z.B. die Erhitzung der Meere. Die Folgen des Klimawandels treffen uns hart: Buschfeuer zerstören Landstriche und Fluten und Dürren vernichten Ernten. Der Verlust von Lebensgrundlagen zwingt immer mehr Menschen weltweit, ihre Heimat zu verlassen.
Um dieses Leid einzudämmen, müssen wir nun konsequent auf die Wissenschaft hören und unsere Lebensgrundlagen schützen, indem wir uns vereint einsetzen gegen jedes weitere Zehntelgrad Erderhitzung. Für die Europäische Union bedeutet das:
Nur wenn wir jetzt endlich tun, was die Klimawissenschaft fordert, werden weitere Kipppunkte vermieden, die den Klimawandel unkontrollierbar vorantreiben und unsere Erde am Ende des Jahrhunderts auf 4-6°C erhitzen würden.
Aufgrund einer begrenzten Lebensdauer der Treibhausgase würde die Erderhitzung bei jetzt eingeleitetem effektivem Klimaschutz langfristig wieder sinken. Damit würden wir die schlimmsten Katastrophen für Mensch, Tier- und Pflanzenwelt abwenden.
Viele Länder erleben bereits heute massive Kosten und soziale Probleme durch Klimafolgeschäden. Diese können in manchen Fällen sogar existenzbedrohend sein. Am härtesten getroffen sind oft diejenigen Länder, die am wenigsten zur Erderhitzung beigetragen haben. Sie brauchen Hilfe und haben Anspruch auf Entschädigung.
Inseln sind schutzlos Extremwettern ausgesetzt und drohen im Meer zu versinken, ganze Staaten sind betroffen durch Dürren, Hitze, Naturkatastrophen oder schlicht eine so deutliche Veränderung der klimatischen Bedingungen, dass althergebrachte Wirtschaftsstrukturen, vor allem in der Landwirtschaft, geändert werden müssen. Dies mag bei einjährigen Nutzpflanzen noch vergleichsweise einfach sein. Bei langlebigen Kulturen wie Bananen, Kaffee, Kakao, anderen Obstsorten, Tee oder Nüssen wie beispielsweise Mandeln ist dies aber mit hohen Investitionskosten und Renditeausfällen verbunden. Ganze Wirtschaftssysteme kippen, die Gesundheit der Einwohner wird durch die Klimaveränderungen und Naturkatastrophen massiv bedroht.
Aus moralischer Verantwortung und EigeninteresseFür die Emissionen, die die Klimakatastrophe hervorrufen, sind die ärmsten Volkswirtschaften im globalen Süden sowohl historisch als auch aktuell deutlich unterproportional verantwortlich. Die Verursacher sitzen fast vollständig im globalen Norden, in Europa, Asien und Nordamerika.
Moralisch dürfte unstrittig sein, dass die Verursacher des Problems auch entsprechend für die resultierenden Kosten aufkommen müssen, egal, wem diese entstehen. Doch auch über die rein ethisch/moralische Komponente ist es von Relevanz für den globalen Norden, die Auswirkungen der Klimakrise zu begrenzen. Schätzungen der Weltbank gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 allein 140 Millionen Menschen weltweit als Klimaflüchtlinge ihre jeweilige Heimat verlassen müssen.
Global gesehen zählen schon heute die Kosten für Klimafolgeschäden gemäß Untersuchungen renommierter Einrichtungen wie der Universität Oxford oder Moody’s Analytics nach mehreren Billionen Dollar im Jahr – Tendenz stark steigend. Diese Kosten treffen die ärmsten Volkswirtschaften im globalen Süden, speziell in den Tropen und Subtropen, deutlich überproportional.
Die Fluchtbewegungen als Folge der Erderhitzung werden weit über das hinaus gehen, was wir bisher erlebt haben. Anders, als bei herkömmlicher Flucht vor Armut und Krieg ergibt diese Flucht aber keinen Sinn, wenn sie als Binnenflucht ausgeführt wird. Auch eine Flucht in unmittelbare Nachbarländer, wie heute noch der absolut überwiegende Teil der Flüchtlinge es tun, wird dann keine Linderung mehr bringen. Praktisch alle diese Flüchtlinge werden versuchen, in Länder zu kommen, die entsprechend bessere Lebensbedingungen bieten. Diese befinden sich fast ausschließlich im globalen Norden, mitunter in Europa. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die resultierenden wirtschaftlichen Probleme zu vermehrten Kriegen und sonstigen bewaffneten Konflikten in den Ländern des globalen Südens führen. Beispielsweise die Ressource Wasser könnte zeitnah Öl als Hauptgrund für Kriege ablösen. Die bewaffneten Konflikte, die auch großflächig auftreten könnten, können hunderte Millionen weitere Menschen in die Flucht treiben. Viele davon würden ebenfalls versuchen, nach Europa zu kommen.
Weiterhin würden diese Konflikte Nachschubketten in vielen Bereichen in Frage stellen. Bei den genannten landwirtschaftlichen Gütern, aber auch vielen Bodenschätzen, die in diesen Regionen gefördert werden – Edelmetalle, seltene Erden und dergleichen – könnte die Versorgung auch in Deutschland und Europa in Frage stellen.
Angesichts dieser Aussichten ist es nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch ureigenes Interesse der Länder des Globalen Nordens, namentlich Deutschlands und der EU, Klimafolgekosten abzumildern und die überproportional von der Klimakatastrophe betroffenen Länder des Globalen Südens zu stützen, auch und insbesondere in ihrer ökonomischen Transformation und der notwendigen Klimawandeladaptation.
Die Entscheidungen der Europäischen Union zu Klima und Energie haben erhebliche Auswirkungen weit über die Grenzen Europas hinaus. Wenn die weltweit viertgrößte Treibhausgas-Emittentin
Das Klimasystem der Erde steht kurz vor dem Kollaps. Nur schnelles und entschiedenes Gegensteuern kann uns jetzt noch retten. Dazu muss die EU ihren Teil beitragen: Sie muss so schnell ihre Treibhausgas-Emissionen auf Netto Null reduzieren, wie es zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze erforderlich ist.
Viel hängt von der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten ab
Wo steht die Klima- und Energiepolitik der Europäischen Union heute? Was wurde erreicht, was wurde verhindert? Was ist zu tun?
Die EU bekennt sich zu Rechtsgrundlagen, die eine wirksame Klimaschutzpolitik erfordern
Schon die Ziele sind unzureichend
Der EU-Klimabeirat empfiehlt immerhin, die Emissionen bereits bis 2040 um bis zu 95 % gegenüber 1990 zu verringern
Die Klimaziele der Europäischen Union müssen dringend nachgeschärft werden, wenn sie noch auf den 1,5-Grad-Pfad kommen soll.
Doch nicht einmal ihre eigenen, ungenügenden Ziele setzt die Europäische Union in die Praxis um. Laut Umweltbundesamt müssen die Maßnahmen noch erheblich ambitionierter werden
Die Europäische Union ist weit davon entfernt, angesichts des drohenden Klima-Kollaps adäquat zu handeln. Immer noch sind viel zu viele CO2-Zertifikate auf dem Markt, weshalb die Unternehmen weiter große Mengen an Treibhausgasen
emittieren, ohne dafür finanziell zur Rechenschaft gezogen zu werden
Wenn eine Tasse ihren Kipppunkt überschreitet und vom Tisch fällt, zerbricht sie, egal ob sie vorher zu 80 % oder nur zu 51 % über den Tischrand geschoben wurde. Mit dem Klimasystem ist es genauso. Daher ist der Kampf um die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze keine rechthaberische Feilscherei: Es geht um unser Überleben.
Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, mit der Klimapolitik der EU zufrieden zu sein. 57 % Emissionsminderung bis 2030 sind zu wenig. Und es sieht nicht danach aus, dass die EU auch nur dieses ungenügende Ziel erreichen wird: Laut
Umweltbundesamt müssten dafür die Treibhausgase dreimal so schnell reduziert werden wie heute
Doch die Länder der Europäischen Union tun nicht nur zu wenig – sie tun auch das Falsche: Laut einer Analyse des Europäischen Rechnungshofs von Anfang 2022 investieren 15 Mitgliedsstaaten mehr Geld in fossile als in erneuerbare Energien
In dieser Situation sollte Deutschland auf der Seite derjenigen Länder stehen, die sich in der Europäischen Union für mehr Klimaschutz einsetzen. Leider ist das nicht der Fall. Die Ampel ist nicht nur auf nationaler Ebene ambitionslos
Am 27. September 2023 wurde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die bisher größte Klimaklage eröffnet. Sechs junge Menschen aus Portugal zwischen elf und 24 Jahren verklagten 32 europäische Staaten, darunter sämtliche
Staaten der Europäischen Union
Entstanden ist die Klage unter dem Eindruck verheerender Waldbrände in Portugal, verursacht durch die Erderhitzung. Der Vorwurf: Die Staaten senken ihre Treibhausgasemissionen nicht weit genug, um den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Damit tragen sie zu der Erderhitzung bei, die das Leben der KlägerKläger beeinflusst und beeinträchtigt, und werden ihrer Pflicht zum Schutz der Menschenrechte nicht gerecht.
Das aber bedeutet, so die Anklage, dass die europäischen Staaten gegen mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen:
Die angeklagten Staaten versuchen gar nicht erst, die entsetzlichen Folgen der Erderwärmung zu leugnen. Auch dass sie dafür mitverantwortlich sind, können sie nicht bestreiten. So versuchten sie es mit formaljuristischen Ausflüchten:
Als ob ein Vergehen straffrei bleiben müsste, sobald die angerichteten Schäden ökologischer Natur sind.
Als ob ein Verbrechen nur dann ein Verbrechen wäre, wenn die Toten oder Schwerverwundeten selbst es zur Anklage bringen.
Dann dürften auch Pharma-Unternehmen für schädliche Medikamente nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn die unerwünschten Nebenwirkungen nur vielfältig genug sind.
Die Verteidigung verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass die Folgen des Klimawandels keine ernsthafte Beeinträchtigung darstellten. Das war bereits 2020 falsch, als die Klage eingereicht wurde. Und mit jedem neuen Waldbrand, jeder neuen Dürre, Überschwemmung, Hitzewelle und Missernte, die die Attributionsforschung der menschengemachten Erderhitzung zuordnet, wird die Beweislage gegen die CO2-Emittenten bedrückender.
Am 9. April 2024 wurde die Klage der Jugendlichen abgewiesen
Dass die Staaten sich nur über diese Formalie aus der Affäre ziehen konnten, zeigt: In der Sache hatten die Jugendlichen recht. Es ist beschämend, dass die Staaten der Europäischen Union nicht aus freien Stücken tun, was sich von selbst verstehen sollte: ihre Treibhausgasemissionen so weit zu senken, wie es erforderlich ist, damit sie ihren fairen Anteil an der Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius leisten.
Am selben Tag zeigte sich, dass das Einklagen von Klimaschutz durchaus Erfolg haben kann: Derselbe Gerichtshof gab einer Klage von Schweizer SeniorSenioren recht. Die Schweiz hat es nun schwarz auf weiß, dass sie mit ihrem ungenügenden
Klimaschutz Menschenrechte verletzt
Ein häufiger Einwand gegen eine ambitionierte Klimapolitik lautet: Was bringt es denn, wenn die Europäische Union ihre Emissionen senkt? Ist ihr Anteil an der Erderhitzung nicht viel zu gering, als dass ihre Emissionen einen Unterschied machen könnten?
Die Europäische Union ist nach China, den USA und Indien die viertgrößte Treibhausgas-Emittentin weltweit. Etwa 6,7 % der weltweiten Emissionen werden hier verursacht
Mit dem Beitrag der Europäischen Union steht und fällt allein deshalb schon der Erfolg der internationalen Maßnahmen zur Abwendung des Klima-Kollaps. Doch damit nicht genug: Die Europäische Union ist eine wichtige Stimme unter den Ländern
der G20
Deshalb ist es so wichtig, dass die Europäische Union die Energiewende jetzt entschlossen angeht, ihre Ziele konsequent an der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze orientiert und Verstöße dagegen sanktioniert. Nur so kann sie auch die anderen großen Emittenten davon überzeugen, dass der Abschied von den fossilen Energien nicht nur überlebensnotwendig, sondern auch möglich und durchsetzbar ist.
Der Zusammenbruch des Klimas hat bereits begonnen. Angesichts der historischen Verantwortung der reichen Industrienationen hat die Europäische Union kein Rest-Budget an Treibhausgasen mehr
Diese Forderungen umzusetzen, mag nicht einfach sein. Aber noch viel schwerer wäre es, sie nicht umzusetzen. Denn was uns erwartet, wenn wir nicht doch noch gemeinsam die Wende schaffen, ist ein völlig außer Kontrolle geratenes Klima-Desaster.
Die Klima-Ökonomin Claudia Kemfert sagt deshalb: „Konsequenter Klimaschutz kostet weniger als die Klimakatastrophe, die er verhindert