In Europa gilt mehrheitlich das Prinzip der repräsentativen Demokratie. Das bedeutet, dass je nach Auslegung ethnische Gruppen, Berufe, ideologische Gruppen oder politische Ziele gemäß ihres Anteils in der Bevölkerung bzw. gemäß ihrer Relevanz in den Parlamenten vertreten sein sollen.
Im Bestreben, Minderheitenmeinungen zu unterdrücken wurde im EU-Parlament mit den 2022 überarbeiteten Wahlregeln
Wir betrachten Regelungen, die Menschen in ihrer Wahlentscheidung bevormunden, grundsätzlich als demokratiefeindlich und setzen uns gegen Prozentsperrklauseln ein. Stattdessen streben wir bei allen Wahlen ein System mit mehreren Stimmen an, die auf eine Partei kumuliert aber auch auf verschiedene Parteien verteilt werden können. So sollen Menschen ihre politischen Vorstellungen möglichst präzise auf dem Stimmzettel abbilden können, damit statt Populismus und Personenwahlkampf wieder echte Inhalte in den Fordergrund rücken.
Bei Kommunalwahlen in den meisten Bundesländern gibt es keine Prozentsperrklausel und die WählerWähler haben mehrere Stimmen.
Ziel ist, dass möglichst wenige gültige Stimmen verworfen werden. Der Anteil der wegen formalen Hürden nicht repräsentierter Stimmen kann für alle EU-Staaten erfasst werden.
Wir arbeiten grundsätzlich kooperativ mit anderen, lösungsorientierten Parteien zusammen. Ein repräsentatives Parlament, das alle wichtigen Themen abdeckt, muss die gesellschaftliche Diversität wiederspiegeln und die Spezialisierung von Parteien zulassen, damit Lösungen, die der Komplexität der Probleme gerecht werden, eingebracht und im Kreise der mit der jeweiligen Thematik vertrauten Abgeordneten diskutiert werden können. Ohne Prozentsperrklauseln können sich PolitikerPolitiker in geeigneten Strukturen organisieren, die zur Lösung der Probleme beitragen.
Auch die für deutsche Parlamentswahlen geltende 5 %-Klausel rechtfertigt sich durch eine vermeintlich einfachere Bildung von stabilen Koalitionen mit weniger Parteien im Parlament. Gerne wird auf die Erfahrungen der Weimarer Republik verwiesen, in der Regierungen immer wieder daran gescheitert waren, dass die großen Volksparteien nicht fähig waren, gemeinsam zu regieren. Die Theorie, dass Parlamente mit weniger Parteien stabiler sind, trifft in der Praxis auf wenig Evidenz.
Wahlergebnisse deutscher Parlamentswahlen
Auch in der Weimarer Zeit sind selten mehr Parteien angetreten, als heute. Es gingen meist einige, wenige Sitze an Kleinparteien unter 5 %, die für die Bildung einer Regierung kaum eine Rolle spielten. Demgegenüber
steht das sehr stabile EU-Parlament, in dem aktuell 211 verschiedene Parteien sowie 117 unabhängige Abgeordnete aus 27 Ländern sitzen.
Einstimmigkeit im Rat der Europäischen Union ist bei einigen Angelegenheiten erforderlich, die die Mitgliedstaaten als sensibel betrachten, so zum Beispiel:
Darüber hinaus ist für Abweichungen von einem Kommissionsvorschlag Einstimmigkeit im Rat erforderlich, sofern die Kommission den an ihrem Vorschlag vorgenommenen Änderungen nicht zustimmen kann. Diese Regelung gilt nicht für Rechtsakte,
die der Rat auf Empfehlung der Kommission annimmt, etwa im Bereich der wirtschaftspolitischen Koordinierung
Grenzübergreifende Krisen wie der Klimawandel und mögliche Kriege in der europäischen Nachbarschaft verlangen nach einem gemeinsamen Vorgehen. Alle Mitgliedstaaten der EU sind sich jedoch selten einig und jeder einzelne Mitgliedstaat kann mit seinem Veto Beschlüsse blockieren.
10.1.2 ProblembeschreibungDas Einstimmigkeitsprinzip ist nicht praktikabelDas Problem ist, dass die Europäische Union in der Welt selten geschlossen auftritt. Die AußenministerAußenminister und RegierungschefRegierungschefs der großen Länder in der EU haben einzeln immer noch mehr Gewicht als die EU als Machtblock. Das liegt vor allem an den politischen Spielregeln. Denn um einen Beschluss in der Außenpolitik zu fällen, müssen alle 27 Mitgliedstaaten diesem zustimmen. Falls nur ein Land dagegen ist, passiert nichts mehr.
In der Praxis bedeutet das: Die EU hat fast 450 Millionen Einwohner. Wenn die Regierung von Malta sich querstellt, dann kann diese „Macht“ von 475.000 Menschen (weniger EinwohnerEinwohner als Bremen / 0,1 % der EU-Gesamtbevölkerung) alles
blockieren. Dieses Einstimmigkeitsprinzip gilt auch bei anderen Politikbereichen wie den EU-Finanzen, der Besteuerung, dem Sozialschutz und Bürgerrechten
Einige Mitgliedstaaten nutzen das Veto als Druckmittel für Verhandlungen. So legte beispielsweise Ungarn in Polen 2022 sein Veto gegen den von der OECD empfohlenen Mindeststeuersatz für Unternehmen ein, um Druck auf die Europäische
Kommission bei der Auszahlung der COVID-19-Wiederaufbaufonds auszuüben
Grenzübergreifende Krisen wie die Erderhitzung und mögliche Kriege in der europäischen Nachbarschaft verlangen nach einem gemeinsamen Vorgehen. Alle Mitgliedstaaten der EU sind sich jedoch selten einig und jeder einzelne Mitgliedstaat kann mit seinem Veto Beschlüsse blockieren.
Das Einstimmigkeitsprinzip muss abgeschafft und ersetzt werden durch ein Wahlverfahren, das in vielen anderen Politikfeldern verwendet wird: das qualifizierte Mehrheitsrecht.
Qualifizierte Mehrheit bedeutet:
Es braucht mindestens 15 von 27 Mitgliedsstaaten für einen Beschluss (= 55 % aller Mitgliedstaaten). Diese mindestens 15 Staaten müssen mindestens 65 % der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren.
Das stellt zum einen sicher, dass große Länder nicht von kleinen Ländern zu etwas gezwungen werden können, weil 65 % der Bevölkerung repräsentiert sein müssen, und zum anderen, dass viele kleine Länder sich gegen eine Übermacht weniger
großer Länder wehren können
Das EU-Parlament verfolgt dieses Anliegen bereits:
„Das EU-Parlament verabschiedete am Dienstag einen Bericht mit pragmatischen Empfehlungen zur Umsetzung der Reform der EU. Damit sollen die Mitgliedstaaten davon überzeugt werden, Einstimmigkeit in Schlüsselbereichen abzuschaffen. Es handelt sich um den 40. Versuch. Der nicht bindende Bericht, der die Passerelle-Klauseln als ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Fähigkeit der EU, schnell und effektiv zu handeln, anerkennt, enthält Empfehlungen zu den Bereichen, in denen sie angewandt werden sollen, sowie einen konkreten Zeitplan, wann sie eingeführt werden sollen.
Das Parlament fordert die EU auf, bis Ende 2023 Passerelle-Klauseln und die qualifizierten Mehrheitsentscheidungen bei Sanktionen, steuerlichen Maßnahmen in der Energiepolitik, Umweltmaßnahmen und der Revision des EU-Haushalts anzuwenden.
Entscheidungen über die Standpunkte der EU in multilateralen Foren und die Unterzeichnung internationaler Abkommen in der Außen- und Verteidigungspolitik bleiben Bereiche, in denen der Rat bis Ende 2024 ebenfalls das Mehrheitsprinzip
nutzen sollte“
Wenn das Einstimmigkeitsprinzip durch das Qualifizierte Mehrheitsrecht ersetzt wird, wäre der Rat der Europäischen Union deutlich handlungsfähiger, da Länder ihr Vetorecht nicht mehr als Druckmittel missbrauchen können. Die EU könnte geschlossen nach außen auftreten und zuverlässiger ein gemeinsames Vorgehen gegen grenzübergreifende Krisen wie den Klimawandel finden.